Zurück zu den Anfängen

Die Ausstellung „Maßstäbe“ in der Städtischen Galerie Ostfildern zeigt die internationale Baukunst von Jürgen Mayer H.

Karierte Schatten, die über Plätze fliegen, und Wellen an Außenfassaden, die aussehen wie Haifischzähne: Die fließenden Formen der Baukunst von Jürgen Mayer H. ziehen die Blicke auf sich. Die Eröffnung der Ausstellung im Stadthaus im Scharnhauser Park mit Arbeiten von Jürgen Hermann Mayer, der der besseren Erkennbarkeit wegen als Jürgen Mayer H. firmiert, glich am vergangenen Wochenende einem Treffen der Architekturszene. Zu „Maßstäbe“, so der Titel der Schau, strömten nicht nur viele junge Studierende. Weggenossen und Entscheidungsträger, die vor 20 Jahren dabei waren, als das Stadthaus nach den Plänen des Architekten gebaut wurde, waren ebenfalls gekommen.
Auch wenn Mayer einen Allerweltsnamen trägt – seine kühnen Entwürfe, für die er weltbekannt ist, ziehen die Blicke auf sich. Die anspruchsvolle Denk- und Arbeitsweise wird in der großzügigen Präsentation in der Städtischen Galerie deutlich. Schließlich machte ihn das aufsehenerregende Stadthaus so berühmt, dass Galerieleiterin Holle Nann ihn freudig begrüßte: „Zu Hause in aller Welt, zu Gast im eigenen Haus.“
Mayer hat einen hohen gestalterischen Anspruch. Er verknüpft in seinen Arbeiten Architektur, Kunst, Design und Kommunikation. Das zeigt sich deutlich bei der großen Holzskulptur „off.spring“, die in einen spannenden Dialog tritt mit einer großformatigen Aufnahme der freien dynamischen Form des Projekts „Metropol Parasol“ in Sevilla. Das 5000 Quadratmeter große Rasterdach schlingt sich über den Platz. Der komplexe Bau lässt karierte Schatten über die Fläche und über die Treppen fliegen. Stolze 28 Meter hoch, gilt die riesige urbane Skulptur als eine der weltweit höchsten Holzkonstruktionen. Wenn die Sonne durch die Oberlichter der Galerie scheint, korrespondieren die Schatten in Sevilla und im Scharnhauser Park besonders schön.
Ähnlich verschlungen, nur viel kleiner, gestattet die Skulptur in der großen Galerie Einblicke, bewahrt aber gleichzeitig eine gewisse Intimität im tiefen Innern durch verschachtelt angebrachte Holzformen. Umgesetzt wurde die 26-teilige Steckarbeit aus Kiefer-Fichte-Schichtplatten nach Plänen Mayers in 220 Stunden von dem Ostfilderner Künstler Tobias Ruppert.
Auch mit den 19 „Data“-Collagen entsteht ein Wechselspiel durch die organisch-verschlungene Formensprache. Schon früh begann Mayer, sich mit den Datensicherungsmustern – etwa in Innenseiten von Briefkuverts – am Bau, aber auch künstlerisch auseinanderzusetzen. Die wirren Muster sollen private Inhalte wie Abrechnungen oder PINs von außen unlesbar machen. Diese Grenzen von Privatsphäre, Öffentlichkeit und Anonymität werden durch die mäandernden, amorphen Strukturen in den Collagen sichtbar gemacht. Am Bau denkt Mayer die natürliche Grenzlinie der Architektur durch das Anbringen derartiger Informationsflüsse neu und spielt mit den Erwartungen der Betrachter – seine Arbeitsweise ist sehr gut nachvollziehbar anhand zahlreicher Beispiele, die auf drei Monitoren abgespielt werden.
Verwirrend ist das Raumgefühl beim Anblick des riesigen Banners mit einer Fotografie des Zipper-Towers in Düsseldorf. Die 450 Wellenelemente an der Außenfassade des Hochhauses scheinen sich wie gigantische Haifischzähne um eine Frau zu schließen, die auf einer Plattform stehend den Blick über die Dächer der Weltstadt genießt.

Info: Jürgen Hermann Mayers Entwürfe für das Stadthaus im Scharnhauser Park sind im Museum of Modern Art in New York zu sehen. Bei der Ausstellung im Scharnhauser Park sind im Obergeschoss Fotografien zu sehen, die die Menschen im Stadthaus zeigen. Sie sind mit der Lichtbildnergruppe Esslingen entstanden. Die Ausstellung „Maßstäbe“ ist bis zum 24. Januar in der Galerie zu sehen. 

pb / Foto: Petra Bail


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